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Gegen den Strich: Eine Reportage zur Bürstenherstellung

MAGAZIN

Die Bürstenfabrik Keller aus Todtnau im Schwarzwald gehört seit Jahrzehnten zu unseren wichtigen Partnern. In den letzten Jahren vergrößerte und modernisierte sich das Unternehmen und hat dabei besonders stark auf Nachhaltigkeit geachtet. Wir zeigen, wie umweltfreundlich Naturbürsten im Jahr 2018 hergestellt werden können. Zu Besuch im Reich der Borsten.

Traditionelle Handwerker werden gerne als Aushängeschilder für ihre Regionen gebraucht. Dass auch größere Firmen Vorzeigeunternehmen sein können, beweist die Bürstenfabrik Keller aus dem Schwarzwald. Der engagierte Familienbetrieb investiert in Hi-Tech, ohne bewährte Verfahren aufzugeben und setzt ganz nebenher Signale, was Umweltschutz und Mitarbeiterführung angeht.

Ein bisschen sieht es im südlichen Schwarzwald immer noch aus wie im Märchen: eine Landschaft aus bewaldeten Bergen, satten Weiden und Häusern, die das geschindelte Dach bis tief ins Gesicht gezogen haben. Gleich neben dem höchsten Gipfel, dem Feldberg, entspringt auf 1200 Metern Höhe ein Fluß mit dem etwas verwirrenden Namen Wiese.

In Todtnau ist die Wiese noch ein Bach, ein ziemlich kräftiger Bach immerhin. Kräftig genug, um Mühlen und Sägen anzutreiben. Auch Johann Baptist Keller war 1869 auf die Kraft des Wiesenwassers angewiesen. Damals begann er, in seinem Heimatort Hölzer für Bürsten herzustellen. Heute, fast 149 Jahre später, werden die hochmodernen Maschinen seiner Nachfahren wieder durch Wasserkraftwerk betrieben.

»Demnächst sollen hauseigene Turbinen und eine Photovoltaik-Anlage die Stromversorgung komplett übernehmen«, sagt Geschäftsführerin und Umweltbeauftragte Jasmin Keller, »und vielleicht können wir dann sogar noch Elektrizität ins Netz speisen«. Schon jetzt gewinnt das Unternehmen einen Großteil seiner Wärmeenergie durch Holzspäne, die in der Produktion anfallen.

"Bei uns werden alle Arbeitsgänge in einem Haus durchgeführt. Vom Holzstamm bis zur fertigen Bürste."

Die Bürstenfabrik Keller, inzwischen einer der führenden Hersteller von Feinbürsten in Europa, ist gewachsen. Ein Familienunternehmen ist die Todtnauer Firma aber stets geblieben. Tief verwurzelt in der alten Handwerkerregion des Südschwarzwalds. 1200 verschiedene Artikel stehen heute im Programm: Haar- und Körperbürsten, Bürsten für den Haushalt und zur Tierpflege.

Nachhaltigkeit, das merkt man schnell, ist in dem Traditionsunternehmen, keine Floskel. »Wir nehmen unsere Verantwortung ernst«, sagt Jasmin Keller, und ihre dunklen Augen blitzen dabei leidenschaftlich hinter der Designerbrille hervor: »Schließlich stellen wir Bürsten her, die gerade deswegen gekauft werden, weil sie Naturprodukte sind.«
An der Verbesserung der Ökobilanz stetig zu arbeiten, gehört für die 50-jährige deshalb zum Kerngeschäft. »Einige unserer Modelle standen schon in den 1960er Jahren im Katalog«, sagt Andreas Keller, der das Unternehmen zusammen mit seiner Frau in der fünften Generation führt: »Nur damals eben noch auf Hochglanz lackiert«. Inzwischen werden ein Großteil der Holzkörper mit einem speziellen Verfahren gewachst oder geölt. »Das ist umweltschonender und zeitgemäßer«.
Ein Großteil der Hölzer, die auf dem 11.000 Quadratmeter großen Firmengelände lagern, stammen aus heimischen Wäldern.

»Manchmal ist sogar ein Stamm aus dem örtlichen Schwimmbad oder dem Garten eines Angestellten dabei«, wie Andreas Keller lachend gesteht. Mit seinen Wuschelhaaren und den weißen Turnschuhen wirkt der 53-jährige nicht gerade wie der übliche Mittelständler. »Bei uns werden alle Arbeitsgänge in einem Haus ausgeführt. Vom Holzstamm bis zur fertigen Bürste.«
Weite Wege haben nur die Schweineborsten und Ziegen- und Rosshaare hinter sich. Zumindest bisher. Geeignete Schweineborsten gibt es in den benötigen Mengen derzeit nur in Indien und vor allem China. Sie stammen aus dem Nackenhaar von domestizierten Wildschweinen, die auf über 3000 Metern von Bergbauern gehalten werden. »Leider schwindet diese Ressource aufgrund der Landflucht in Sichuan zunehmend«, erklärt Andreas Keller. Mit Engpässen rechnet er schon zum Ende des Jahres.
Die Suche nach Alternativen zur Schweineborste läuft auf Hochtouren. Dementsprechend investiert das Schwarzwälder Unternehmen in ein umfangreiches Forschungsprojekt, das die Möglichkeiten von Zellulose als abbaubarem Ersatzrohstoff untersucht. »Vielleicht«, sagt Andreas Keller, »werden wir in Zukunft auch mit Borsten aus Europa arbeiten können.« Noch ist das ungewiss.

Die Lage ist kompliziert, aber Jasmin Keller sieht auch dieses Problem als konstruktive Herausforderung. »Wir wollen ja nicht nur Traditionen bewahren, sondern auch ein kreatives Unternehmen sein«, sagt sie. Neue Materialien wie wasserfeste Holz-Kunststoff-Komposita können ihrer Meinung nach das Angebot des Unternehmens erweitern.
Jasmin Keller besucht Zukunftskongresse und beschäftigt sich intensiv mit gesellschaftlichen Strömungen und Innovationen. Denn auch ein scheinbar zeitloses Produkt, meint sie, unterliege natürlich Moden und Trends. Zum Beispiel? »Eigentlich wollten wir die Bartbürsten vor einigen Jahren aus dem Programm nehmen«, erzählt Andreas Keller und grinst. »Und plötzlich hatten wir dann ein Top-Seller-Produkt.«
Nein, man dürfe eben nicht in der Vergangenheit stehen bleiben. Viele Traditionsunternehmen aus der Region habe die Rückwärtsgewandtheit in den Konkurs getrieben. Längst arbeiten die Kellers mit modernen Stanzmaschinen und Laserfräsern. Gleichzeitig lassen sie einen Teil ihrer hochwertigen Haarbürsten händisch im historischen Stirneinzugsverfahren herstellen. Kein Widerspruch, finden die Beiden. »So sind wir einfach breiter aufgestellt.«

Und der Erfolg gibt ihnen recht. In den letzten Jahren ist die Bürstenfabrik kräftig gewachsen. Während bis 2006 noch 35 Beschäftigte in dem Todtnauer Unternehmen tätig waren, sind es heute 112. Weiter kann und will sich die Firma nicht vergrößern. Der Fluss und sein enges Tal setzen dem Wachstum natürliche Grenzen. »Wir wollen gute Arbeitsplätze bieten«, sagt Jasmin Keller, und beginnt von unternehmerischer Transparenz und Mitarbeiterpartizipation zu sprechen. Von flachen Hierarchien, flexiblen Arbeitszeiten und der Beteiligung der Beschäftigten am Gewinn. »Bei uns gibt es schon deshalb keinen Akkord«, sagt sie »weil das Qualitätsverlust bedeuten würde.«
Plötzlich hält Jasmin Keller inne und muß über ihre eigene Begeisterung lachen: »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihnen hier das Ohr mit meinen Visionen abkaue.« Sie wird ein bisschen rot und schenkt aus Verlegenheit noch eine Runde Saft ein. »Jetzt hör ich aber auf.«

Gerade die Leidenschaft macht das Unternehmen aus. Die Kellers wollen eben nicht nur hervorragende Naturbürsten herstellen, sondern auch Vorbilder für nachhaltiges Wirtschaften sein.
Seit Kurzem ist übrigens auch der 25jährige Johannes Keller in die Firma eingestiegen. Die sechste Generation ist am Start. Wenn das kein gutes Zeichen ist.
Holz-Leute Geschäftsführerin Stefanie Strobl (mitte) zu Besuch in der Bürstenfabrik Keller.

Text: Gero Günther, Fotografie: Peter Neusser