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Im Land der Klappmesser

MAGAZIN

Die schönsten Messer Frankreichs stammen aus einer herben, fast menschenleeren Gegend. Eine Region, die in den vergangenen Jahren wieder zu sich gefunden hat. Nicht zuletzt dank der Rückkehr einer Handwerkskunst, die beinahe verloren gegangen war.

Nur ein paar Leichtmetallscheunen, Traktoren und Strommasten zeugen davon, dass man sich in der Gegenwart befindet. Alles andere wirkt alt. Uralt. Die Wegkreuze aus Granit, die Häuser und Höfe, die von Steinmauern gesäumten Viehtriebe. Das Plateau des Aubrac ist eine karge Gegend aus Hochmooren und Weiden, übersät von Findlingen und einsamen Sennhütten. Viele dieser Almen sind in die Erde eingegraben, um dem Wind stand zu halten, der hier zu allen Jahreszeit bläst. 1000 bis 1400 Meter über dem Meeresspiegel liegt die Hochebene. Jetzt im Frühjahr sprießen Blumen aus dem steinigen Boden. Ganze Teppiche von gelben Blüten. Aber auch die Narzissen können nicht über die Härte der Landschaft hinwegtäuschen. Es ist gerade seine schroffe Seite, die den Aubrac bekannt gemacht hat. Sie wird besonders von den Pilgern geschätzt, die das einsame Plateau auf dem Jakobsweg durchwandern. Berühmt ist der Region aber vor allem für seine Klappmesser. Wie stark die Laguiole-Messer in der Region verwurzelt sind, erfahren wir von CHRISTIAN VALAT, dem Gründer und Inhaber einer der wichtigsten Messerschmieden Frankreichs. Wir treffen Valat in seinem Privathaus. Der ehemalige Bauernhof liegt abseits der geteerten Straße, unweit des Dorfes, in dem der 61jährige aufwuchs.

Die Eben Laguiole mit Häusern und Landschaft

GG
Wie kommt es, dass Messer, die in dieser entlegenen Gegend Frankreichs hergestellt werden, eine solche Berühmtheit erlangten?

Wir befinden uns hier in einer landwirtschaftlich geprägten Region, die früher sehr arm war. Von ihren winzigen Höfen konnten die Menschen kaum leben, und viele mussten ihre Heimat im 19. Jahrhundert verlassen. Ein großer Teil dieser Migranten zog nach Paris. Dort arbeiteten sie als Kohlehändler und Träger. Sie schleppten das warme Wasser in die oberen Etagen. Später gründeten viele von ihnen Cafés und Bistros. Das Erkennungszeichen dieser Menschen war ein Produkt, das 1829 auf dem Aubrac erfunden worden war. Das Laguiole-Messer enstand auf den Märkten, auf denen fahrende Schmiede ihre Dienste anboten. Es war das erste Messer, das über einen anständigen Klappmechanismus verfügte.

Holz-Leute zu Gaste in der Schmiede Laguiole en Aubrac

Alle paar Jahre reisen Stephanie Strobl und Florian Fackler nach Frankreich, um sich über neue Entwicklungen auf dem Messermarkt zu informieren und ihre Freundschaft mit Firmengründer Christian Valat zu pflegen. 

GG
Das Messer gelangte also in den Hosentaschen der Auswanderer in die Hauptstadt?

Genau. Durch die vielen Migranten erwarb sich das Laguiole schnell auch einen Ruf in Paris. Man bekam ein Laguiole-Messer zur Kommunion, oder verschenkte es an frisch eingeheiratete Familienmitglieder. Bald schon wurden aufwändig gearbeitete Servierbestecke aus Laguiole zu beliebten Hochzeitsgeschenken. Bis heute gehören die meisten Bistros in Paris Menschen, die aus dem Aveyron stammen, dem Département, in dem wir uns befinden. Man spricht manchmal scherzhaft von einer „Bistrokratie“.

GG
Aus einem Gebrauchsgegenstand wurde also ein Luxusprodukt.

Unter den Kunden gab es immer mehr Geschäftsleute, Künstler und Filmschauspieler, die die Berühmtheit der Laguiole-Messer immer weiter verbreiteten. Wir reden hier von den 1930er, 40er und 50er Jahren. Ein Messer, das ursprünglich für Bauern gebaut worden war, hatte sich zum Modeprodukt gemausert. Inzwischen war aber noch etwas anderes passiert. Die Nachfrage nach den Laguioles war so groß geworden, dass die Produktion aus der Ursprungsgegend nach Thiers abgewandert war, wo sich die größten Messerschmieden Frankreichs befanden. Auf dem Aubrac gab es einfach nicht mehr genug Arbeitskräfte.

Feuer: „Es braucht viel Erfahrung“, sagt Francois Junco, Damast-Schmied bei Laguiole en Aubrac, „um die Temperatur des Stahls anhand der Farbe beurteilen zu können.“

GG
Das war natürlich eine beklagenswerte Entwicklung.

Zum Glück taten sich 1985 einige Leute, die im Gastronomiegeschäft sehr wohlhabend geworden waren, zusammen, um die Messerherstellung wieder hierher zu verlagern. Man gewann einen damals noch sehr jungen, aber vielversprechenden Designer, der der Sache Aufwind verschaffen sollte und das war Philippe Starck. 1992 bin auch in das Geschäft eingestiegen. Unser Problem war, dass es kaum mehr Messerschmiede in der Region gab. Wir mussten also erstmal neue ausbilden.

GG
Ihr wolltet von Anfang an anders arbeiten als die großen Fabrikanten in Thiers.

Unsere Messer sollten keine Massenware sein. Jedes Laguiole-Messer wird deshalb bis heute von A bis Z von einem einzigen Coutellier hergestellt. Das ist die wichtigste Grundregel. Jeder Handwerker hat seine eigene Signatur und gibt sein Bestes. Das ist natürlich ein ganz anderes Berufsverständnis als das eines Fabrikarbeites. Wir haben junge Teams, die ihr Handwerk lieben, weil sie dabei auch kreativ sein können. Jedes Messer ist ein Einzelstück.

GG
Wieviele Messer werden denn heutzutage in der Region hergestellt?

Etwa 5000 im Jahr. Und wir sind inzwischen mit großem Abstand der größte Produzent. Unsere Marke wird in 45 Ländern vertrieben und ist in einigen der schönsten und exklusivsten Geschäfte der Welt erhältlich. Bei Harrod’s etwa, oder auf den Weingütern von Francis Ford Coppola. Aus zwei einfachen Gründen. Unsere Messer sind schön und erzählen eine gute Geschichte. Heute arbeiten circa 350 Menschen in unserer Region an der Herstellung von Laguiole-Messern.

Verschiedene Hölzer als Griffmaterialien für Laguiolemesser

GG
Wann hast du dein erstes eigenenes Laguiole- Messer bekommen?

Mit 14 zur Kommunion. Es war ein 11 Zentimeter langes Messer in Elfenbein. Ich hab es heute noch. Solche Stücke muß man natürlich behalten.

GG
Apropos. Reicht es denn prinzipiell nicht, ein einziges Messer zu besitzen?

Hat man nur eine Krawatte? Mit dem Messer ist es wie mit vielen anderen Dingen. Man entwickelt eine Leidenschaft und beginnt zu sammeln. Viele unserer Kunden sind passionierte Sammler. Wir werden demnächst ein Messer herstellen, dessen Griff aus einem Stück Eiffelturm besteht. Ich habe früher auch schon kleine Teile aus der Golden Gate Bridge erworben oder aus der Concorde, das waren riesige Erfolge unter den Laguiole- Fans.

Laguiole Region mit Alm und Kuh

GG
Du hast uns erzählt, dass das Laguiole- Messer ein Symbol für die Wiedererstarkung der Aubrac-Region ist. Da ist es natürlich interessant, dass euer Logo die Aubrac-Kuh ist. Auch diese berühmte Kuhrasse drohte ja zu verschwinden.

In den 1950er Jahren kam der Traktor in unsere Gegend und die robusten Rinder verloren ihre Bedeutung als Arbeitstiere. Man begann sie mit anderen, effizienteren Rassen zu kreuzen. Beinahe wäre die Urform verloren gegangen. Glücklicherweise wurde die Rasse in den 70er Jahren rückgezüchtet, und heute gibt es wieder Zehntausende von Aubrac-Rindern. Ein anderes Beispiel für die Rückbesinnung der Region sind unsere steinernen Sennhütten. Es gab einmal 350 von ihnen. Die meisten verfielen im Lauf der Zeit. Zum Glück formierte sich in den 80er Jahren eine Gruppe von jungen Landwirten, die eine Kooperative gründeten, um das Almwesen vom Aussterben zu bewahren. Sonst wäre das Alles verschwunden und es gäbe wohl auch unsere Spezialität nicht mehr, das Aligot, eine Mischung aus Kartoffelbrei und frischem Tomme-Käse.

GG
Und heute geht es der Region wieder besser?

Es geht ihr sogar hervorragend. 2018 wurde der Naturpark Aubrac gegründet, der die Gegend unter Schutz stellt, aber auch regionale Aktivitäten fördert. Es gibt heute einen großen Stolz auf die Traditionen des Aubrac.

Von A bis Z aus einer Hand. Jedes Laguiole-Messer wird bis heute in 128 Schritten von einem einzigen Coutellier hergestellt.

GG
Der Aubrac ist eine sehr bodenständige Gegend. Du stammst selber aus einer einfachen Familie. Dein Vater war Landbriefträger.

geboren wurde, kam dann aber wieder zurück. Ich und mein Bruder wuchsen in einem Dorf auf. Und wir sprechen bis heute die ursprüngliche Sprache der Region miteinander, das Okzitanische.

GG
Bist du stolz darauf, Teil der Erfolgsgeschichte deiner Region zu sein?

Worauf ich wirklich stolz bin, sind meine 72 Angestellten. Sie üben ihren Beruf mit Leidenschaft aus. Viele von ihnen hatten ursprünglich keine Ahnung, dass dieses Talent für den Messerbau in ihnen schlummert. Es ist mir und meinem Bruder, unserem Werkstattleiter, gelungen eine Mannschaft zu formen, die für ihr Handwerk brennt. Wir werden in den kommenden Jahren einen neuen Firmensitz in der Nachbargemeinde bauen und dort nachhaltigen Ideen verwirklichen. Die Gebäude werden nicht von Rasenflächen umgeben sein, sondern von Gemüsegärten. Meine Mitarbeiter sollen mit frischem Gemüse nachhause gehen. Auf die Dächer kommt natürlich Photovoltaik, außerdem wird es einen Bistro geben und Sharing-Fahrzeuge für unsere Mitarbeiter.

GG
Wow, große Pläne. Wie ich gehört habe, bist Du noch in anderen Geschäftsbereichen tätig.

Ja, mir gehören, das wird jetzt niemanden überraschen, mehrere Brasserien in Paris. Außerdem habe ich eine Kooperative gegründet, die es Bauern ermöglicht, ihre Dachflächen mit Sonnenkollektoren auszustatten. Wir sind die erste große Energiegenossenschaft von Bauern in Frankreich. Heute verdienen die 170 beteiligten Landwirten 2,2 Millionen Euro jährlich mit ihrem Solarstrom. Aber langsam komme ich auch in das Alter, in dem ich gerne etwas weniger arbeiten würde.

GG
Was uns zum Genuß bringt. Der einst so arme Aubrac hat sich ja längst zu einer Gegend für Genießer entwickelt. Und da passen die Messer wiederum gut hinein.

Absolut. Warum hat man denn ein Messer in der Tasche? In den meisten Fällen, um Käse oder Wurst zu schneiden. Wir verkaufen heute übrigens immer mehr Messer an Frauen. Und diese Kundinnen wollen nicht etwa irgendwelche Modelle speziell für Frauen, sondern Laguiole-Messer in der normalen Größe und Ausführung.

GG
Sind deine Brasserien in Paris eigentlich mit Laguiole-Messern ausgestattet?

Nein. Einige Sterne-Restaurants legen unsere Messer auf. Aber in den Brasserien wird viel zu viel geklaut. Dafür sind unsere Messer zu schön und zu teuer. Das kannst du vergessen.

Das Interview führte: Gero Günther